Hanae in den USA

Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen: Es kam alles anders

Ankunft in New York und erste Eindrücke

Doch sobald Yesenia, meine Gastmutter, mich abgeholt hat, waren all die Sorgen wie weggeblasen. Wir haben uns sofort verstanden und sind direkt mit ihrer Patentochter essen gegangen. Wir haben sehr viel gesprochen und uns dabei ein wenig kennengelernt.

Später habe ich auch den Rest der Familie kennengelernt, angefangen mit dem Golden Retriever Olly, der einen wortwörtlich umhaut, Zoe, meiner jüngeren Gastschwester, Ashley, meiner älteren, und Wayne, meinem Gastvater. Unser Ziel war es, den Rest des Tages zu überstehen, ohne einzuschlafen, was einen sehr langen Tag für mich bedeutete. Aber ich war so aufgeregt, weil wir ins Zentrum der Stadt gehen wollten.

Hallo gelbe Taxis

Es war das erste Mal, dass ich mit der U-Bahn in New York fuhr und das erste Mal, dass ich die typischen gelben Taxis sah. Es war ein unbeschreibliches und surrealistisches Gefühl, in New York City zu sein, und ich realisierte, dass einer meiner größten Träume in Erfüllung gegangen war. Wir liefen die 5th Avenue entlang, vorbei an all den Läden, und nach einigem Laufen kamen wir um eine Ecke. Ich glaube, ich hatte kurz einen Herzaussetzer, als ich den Times Square sah. All die Lichter, all die Menschen – es fühlte sich wirklich wie in einem Film an, als ob alles in Zeitlupe an mir vorbeizog.

In einer so großen Stadt wie New York City bleibt einem, um ehrlich zu sein, nichts anderes übrig, als einen überwältigend guten ersten Eindruck von den USA zu erlangen. Da nun mal so viel los ist, vergisst man all seine Erwartungen und Gedanken im Augenblick und befasst sich zunächst nur damit, so viel wie möglich mit seinen Sinnen aufzunehmen. Dabei wirkten ungewöhnliche Dinge, die nicht dem gewohnten Bild in Frankfurt entsprachen, immer positiv, wie zum Beispiel das Aussehen der Nachbarschaften und Bauten, die U-Bahnen sowie deren Stationen und vor allem auch der erste Eindruck der Innenstadt von New York City, welche viel belebter und bunter ist, etwa durch die bunten Lichter am Times Square. Am stärksten signalisierte einem die Tatsache, dass jeder in seiner Umgebung eine andere Sprache und Körpersprache als in Deutschland hatte, dass man sich weit weg von zuhause befand und die Chance hatte, in eine neue Umgebung einzutauchen und sie für sich selbst zu erforschen.

Ein Ort mit so vielen Kulturen

Im Laufe der Zeit hat sich dieser Eindruck stark in verschiedenen Hinsichten verändert, mit jeder neuen Person oder jedem neuen Umkreis, den man kennenlernte. Eine weitere große Veränderung erlebte ich nach meinem zweiwöchigen Aufenthalt in Queens (und somit in der Stadt) bei einer Familie mit hispanischem Hintergrund, als ich mich dann in einem Vorort auf Long Island (Huntington) in einer amerikanischen Familie einfinden musste. Dies zeigte, wie facettenreich die USA ist, da bereits von New York City nach Long Island in Hinsicht auf die Dynamik des Alltags sowie die Anzahl und Diversität der Menschen riesige Unterschiede bestehen. Deshalb beziehe ich meinen Eindruck eigentlich nur auf NYC und Long Island, da ich wegen der großen Unterschiede nicht von den USA im Allgemeinen sprechen kann.

Nach einigen Monaten begann ich langsam, die Unterschiede in der Kultur zu sehen, die viele positive, aber auch einige negative Punkte für mich aufbrachten. Am meisten gefiel mir jedoch die Offenheit gegenüber fremden Menschen sowie die Eigenschaft, dass jeder einfach viel freundlicher war. Ein kurzes oder auch langes Gespräch mit einem Fremden in der U-Bahn oder im Supermarkt zu führen, war nicht sehr ungewöhnlich, was man in Frankfurt nicht unbedingt sagen würde, da dort jeder sich eher um sich selbst kümmert.

Diese Eigenschaft machte es jedoch etwas schwerer, Freunde in der Schule zu finden, da man zum Beispiel nicht genau wusste, ob jemand nett zu dir war, weil sie grundsätzlich höflich sind oder weil sie mit dir befreundet sein wollten. Natürlich gab es noch viele andere Unterschiede, jedoch braucht man in fast allen Hinsichten einfach nur Zeit, um sich daran zu gewöhnen und sich gewisse Dinge anzueignen. Wenn es um Gastfamilien geht, muss man sich sehr viel aneignen.

Erfahrungen mit den Gastfamilien

In meinem Jahr ging es nicht immer glatt mit den Gastfamilien, da ich sehr oft umziehen musste, aus verschiedenen Gründen. Doch jede Familie war liebevoll und toll auf ihre eigene Art und Weise, und ich würde deshalb keine Erfahrung umtauschen wollen. Mit jeder Familie kamen neue Gastgeschwister, Eltern sowie neue Erinnerungen, Alltage und Abläufe hinzu. Natürlich wusste ich, dass jede Familie anders ist, jedoch war mir nicht klar, wie anders der Umgang, die Stimmungen sowie auch die Kultur in jedem Haushalt sein könnten. Dies gab mir die Chance, in neue Traditionen und Kulturen einzutauchen, da einige Familien einen anderen kulturellen Hintergrund als den amerikanischen hatten, aber auch einen anderen als meinen, der deutsch-marokkanisch ist. Ich konnte sogar einige schöne Feiertage mit ihnen erleben, darunter Weihnachten, Pessach und Thanksgiving. Thanksgiving war sehr schön. Es hat Spaß gemacht, zusammen zu kochen, zu backen und natürlich zu essen! Weihnachten war auch sehr schön. Es war mein erstes Weihnachten, und wir haben gegessen, Karten gespielt, geredet und gelacht. Auch wenn ich öfter Gastfamilien wechseln musste, blieb ich stets in derselben Schule, was vieles deutlich erleichterte.

Erster Schuleindruck

In der Schule war einfach alles anders: Das Gebäude war viel größer als in Deutschland, der Fokus lag mehr auf Sportarten und die Schüler waren einfach anders. Es war nicht so, dass mir jemand alles erklärte. Zunächst musste ich sicherstellen, dass die Leute wussten, dass ich eine Austauschschülerin war, was dazu führte, dass ich einfach zufällig auf Leute zugehen musste. Das war etwas komisch, aber im Grunde machte mir das nichts aus. Nach ein paar Monaten hatte ich den Dreh raus und fand meine Freunde, vor allem im Crosscountry-Team, dem ich bereits in den Ferien beigetreten war. Dort habe ich sofort sehr nette Mädchen kennengelernt.

Das Schulsystem USA und ich

Ich ging also das ganze Jahr zur High School und mochte die Schule wirklich sehr. Es gab große Unterschiede zwischen der Schule dort und in Deutschland. Man musste zwar eine Anzahl von bestimmten Kursen belegen und es gab verschiedene Vorgaben, jedoch gab es auch die Möglichkeit für jeden Schüler, Fächer zu wählen, die ihn selbst interessierten. Daher wurden Fächer wie Töpfern, Fotografie, Chor, Orchester und viele weitere Dinge angeboten und entsprechend benotet. Nach dem Unterricht, der jeden Tag nur von 7:50 bis 14:20 Uhr ging, wurden sehr viele Sportarten und Clubs angeboten, bei denen sich ein sehr hoher Anteil der Schüler beteiligte. Meiner Meinung nach sind diese Möglichkeiten sehr toll, da man somit auch Spaß mit der Schule verbinden kann, anstatt nur zu lernen und Hausaufgaben zu machen, wie es in Deutschland oft der Fall ist. Vor allem die verschiedenen Sportarten, die meist gegen andere Schulen in Spielen und Turnieren antreten, tragen dazu bei, einen gewissen Schulstolz zu entwickeln, da die Schüler ihre Schule ständig repräsentieren. Ein weiterer großer Unterschied war, dass es sogenannte Distrikte gibt. Jeder, der in einem bestimmten Distrikt wohnt, geht zur gleichen Grundschule, zum gleichen Kindergarten und zur gleichen High School. Das bedeutet, dass sich die meisten Schüler mindestens seit der ersten Klasse kennen. Dies ist an sich schön für sie, jedoch sehr schwer für einen Neuling, da es meist sehr gefestigte Freundschaftsgruppen unter den Schülern gibt, was es noch schwieriger macht, neue Freundschaften zu schließen.

Anders als in Deutschland wird deine Schule auch ein Teil von dir außerhalb des Gebäudes, indem man freiwillig Schulklamotten trägt und in gewisser Hinsicht stolz darauf ist, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Ich selbst habe mich in den Sportarten Cross Country und Lacrosse beteiligt sowie im Chor und im Vocal Ensemble gesungen, was sehr viel Spaß gemacht hat und eine gute und einfache Möglichkeit war, viele Freundschaften zu schließen.

Neues Land, neue Sprache, neue Familien

Die Sprache zu lernen, fiel mir im Allgemeinen nicht sehr schwer, da ich bereits vor dem Auslandsjahr viel privat gelernt, gelesen und vor allem Filme auf Englisch geschaut hatte, um mir das Tempo in Gesprächen anzueignen, welches in Filmen dem Alltag weitgehend entsprach. Natürlich gab es viele Vokabeln, die ich nicht kannte, und Naturwissenschaften in der Schule auf Englisch waren auch etwas schwieriger, aber nach einer gewissen Zeit gewöhnt man sich daran, und ich hatte immer die Möglichkeit, in meinem Umkreis nachzufragen, falls ich etwas nicht verstanden hatte.

Im Allgemeinen bin ich sehr sprachbegeistert und dieses Jahr hat mich stark dazu motiviert, in der Zukunft weiter Sprachen lernen zu wollen, darunter vor allem Spanisch, da ich in drei Familien mit spanischen kulturellen Hintergründen lebte und einige neue spanischsprechende Freunde gewonnen habe. Mit gewissen sprachlichen Problemen kamen aber auch andere Schwierigkeiten wie Heimweh und Konflikte sowie Meinungsverschiedenheiten mit Mitgliedern einiger Gastfamilien. Dies war nicht immer leicht, da man sich vor allem nicht so gut kannte oder einschätzen konnte und es meist einfach Kommunikationsprobleme gab. Daraus habe ich jedoch gelernt, dass man sich immer in die andere Person hineinversetzen sollte, soweit man kann, und unabhängig von seinen eigenen Emotionen die Beweggründe der anderen hinterfragen sollte. Außerdem habe ich gelernt, dass man Situationen sowie Menschen einfach akzeptieren muss, wie sie sind, und mehr Kompromisse eingehen muss. Trotz gewisser Auseinandersetzungen würde ich sie jedoch nicht als schlechte Erfahrungen ansehen, sondern eher als schwierige, aus denen ich gelernt habe und gewachsen bin. Vor allem habe ich mich selbst besser kennengelernt und miterlebt, wie ich in den verschiedensten Situationen reagiere und wie ich mit ihnen am besten umgehen kann.

Unvergessliche Erlebnisse

Ereignisse wie meine erste Broadway-Show, das Lernen eines neuen Instruments (Ukulele), das Teilnehmen am Schulchor und Vocal Ensemble sowie das Mitwirken in einem Sportteam haben meinen Aufenthalt bereichert. Besonders beeindruckend ist, dass ich mich mittlerweile in New York City problemlos zurechtfinde und keine Hilfe mehr beim U-Bahn-System brauche. Diese Erfahrungen und die Tatsache, dass ich nun in einer neuen Stadt, in einem

anderen Land, ein neues Zuhause gefunden habe, sind unvergesslich – und viel wichtiger als die kleinen Macken der letzten Monate.

Ein persönlicher Ausblick

Für viele mag es seltsam erscheinen, so oft „herumgereicht“ zu werden, aber ich habe mich daran gewöhnt und gelernt, das Positive zu sehen. Ich konnte viele verschiedene Familien kennenlernen, die mich nun als Teil ihrer Familie ansehen, und ich habe mich selbst dadurch auch viel besser kennengelernt.

Was ich anderen auf den Weg geben würde, ist, keine zu hohen Erwartungen an dein Auslandsjahr zu stellen. Es wird nicht genau so verlaufen, wie du es dir vorstellst, aber es wird auf jeden Fall eine spannende und bereichernde Erfahrung. Ich würde nicht eine Sache ändern wollen, denn selbst die schlechten Erfahrungen waren im Nachhinein wertvoll, da sie mir geholfen haben, über mich selbst hinauszuwachsen.

Im Allgemeinen kann ich sagen, dass ich Höhen und Tiefen hatte, aber sehr dankbar bin, die Chance gehabt zu haben, diese zu erleben und über mich hinauszuwachsen. Ebenfalls bin ich glücklich darüber, neue tolle Freunde gefunden zu haben und vor allem jetzt Teil vieler Familien zu sein, in denen ich mich wohlfühle und für das gemocht werde, wer ich bin. Außerdem hatte ich die Möglichkeit, einen tollen Sport wie Lacrosse zu lernen, den ich in einem Verein vor Ort weiterspielen kann.

Cornelius Nohl