Marcella in Kolumbien

Ein Jahr neuer Perspektiven: Entdecken von Kultur und Natur

Meine Wahl Kolumbien: Selbstständig werden und eine neue Kultur entdecken

Ich habe mich dort wie zu Hause gefühlt, nur war es etwas ungewöhnlich, da ich kein Familienmitglied um mich hatte. Das hieß auch, dass man einmal ohne die Eltern lebt und ihnen zeigen kann, dass man selbstständig ist, dass man stark ist und nicht mehr das kleine Mädchen (damals noch 15 Jahre alt), das sie nicht hergeben wollten. Kolumbien ist nicht bekannt dafür, dass Schüler*innen dort ihr Auslandsjahr verbringen, jedoch habe ich mich dazu entschieden und war somit bereit, etwas ganz anderes und Neues zu entdecken.

Kolumbien entdecken: Vielfalt, neue Lebensweisen und unvergessliche Erlebnisse

Generell haben viele ein sehr schlechtes Bild von Kolumbien, jedoch wissen die meisten nicht, was sie dort verpassen und wie hervorragend das Land eigentlich ist. Kolumbien ist nämlich sehr VIELFÄLTIG, was ich vorher auch nicht wusste. Es gibt Strände, Berge, Wälder bzw. Regenwälder, große und moderne Städte, kleine Dörfer und den Amazonas. Und ganz nebenbei gibt es überall in Kolumbien Flüsse, die die Menschen entdecken, Wege öffnen und Attraktionen (wie zum Beispiel das Springen von Felsen, was mich persönlich am meisten beeindruckt hat) ermöglichen.
Ich lebte auf einer Finca, das ist ein Haus, das meist im Grünen, also in den Bergen, liegt. Das war sehr neu für mich, da ich als Stadtkind aufgewachsen bin und plötzlich in einem Dorf lebte. Dort besaß ich mehr als zehn Hunde, vier Katzen und ungefähr elf Hühner und Hähne. Das war zunächst ein Schock für mich, da ich ein bisschen Angst vor Hunden hatte, diese habe ich mittlerweile jedoch längst überwunden.
Nicht nur das war eine Veränderung – ich hatte gleich viel mehr „Glück“, denn als Fleischliebhaberin kam ich auch noch in eine vegetarische Familie. Das war eine gewaltige Veränderung meines Lebensstils im Vergleich zu Deutschland. Aber dafür bin ich hierhergekommen – ich wollte mehr von der Welt sehen, inklusive verschiedener Lebensgewohnheiten. (Anmerkung: heute ist Marcella Veganerin.)

Der erste Kulturschock: Von der Ankunft bis zum Gastfamilienwechsel

Meine Ankunft bei der ersten Familie war für mich schon der erste Kulturschock bzw. Lebensschock. Erst musste ich eine fast zwei- bis dreistündige Fahrt zum Haus machen, und als wir ankamen, wurde das Auto von zehn Hunden umzingelt. Ich war verängstigt, da ich noch nie in meinem Leben mit so vielen Hunden zu tun hatte. Jetzt kann ich zugeben, dass ich keine Angst mehr vor ihnen habe.
Die Familie bestand aus Mutter, Vater, Tochter, und später kam noch der Bruder dazu. Alle waren sehr beschäftigte Leute. Da in Kolumbien der Tag sehr früh anfängt, musste man spätestens um fünf Uhr wach sein. Das war das Schwierigste am Anfang, natürlich neben dem Erlernen der Sprache, aber ich lernte „poco a poco“ (frei übersetzt „Schritt für Schritt“). Mit der Zeit lernte ich das Sprechen schneller als erwartet. Zwar war mein Spanisch am Anfang der Lernphase nicht besonders gut, aber die Hauptsache war, dass ich die Leute verstehen konnte. Die Familie half mir dabei alleine schon dadurch, dass sie regelmäßig Spanisch mit mir sprach.
Jedoch interessierte sich meine Gastfamilie später (als mein Bruder eingetroffen war) leider überhaupt nicht mehr für mich. Da er ein Sorgenfall war, den man nicht aus den Augen ließ, hörte meine Familie mir nicht mehr so zu wie zuvor. Meine Gastschwester hat sich jedoch um mich gekümmert, als ich gemerkt habe, dass es nicht mehr gut harmonierte. Dann habe ich einen Wechsel der Familie eingefordert. Es gab ein paar Probleme, bis dieser Tausch der Gastfamilie durchgeführt wurde. Doch letzten Endes habe ich mich dafür eingesetzt, keinen weiteren Tag dort zu leben, da mir mit der Zeit mehrere negative Aspekte dieser Gastfamilie aufgefallen sind. Danach ging es von Nacht auf Tag – mein schnellster Umzug!

Neuanfang in der Gastfamilie: Wohlfühlen, Anpassung und Sprachfortschritte

Meine neue Gastfamilie bestand aus Mutter und Tochter. Die Mutter übernahm in diesem Haus sowohl die Mutter- als auch die Vaterrolle. Ich habe mich sehr wohl gefühlt. Meine Gastschwester war in meinem Alter, und wir haben anfangs viel unternommen. Da es meine Gastschwester Maria jedoch nicht gewohnt war, so viel Zeit mit einer neuen Person zu verbringen, zog sie sich später zurück. Daher unternahm ich mehr mit anderen Freundinnen oder auch mit meiner Gasttante, die ich häufiger besucht habe. Bei den Besuchen habe ich sie immer voll bequatscht, und ehrlich gesagt, habe ich dadurch mein Spanisch sowie mein Allgemeinwissen über Kolumbien um einiges verbessert.

Essen, Schule und neue Erfahrungen: Anpassung und kulturelle Unterschiede

Das Essen dort war sehr simpel und lecker. Bei beiden Gastfamilien musste ich meine Essgewohnheiten einschränken. Die erste Gastfamilie war vegetarisch, und die neue war auf einer Diät. Deshalb haben mich immer viele Leute zum Essen eingeladen, wie zum Beispiel meine Gasttante. Ich war diesen Personen immer sehr dankbar. In Kolumbien ist es typisch, immer einen frisch gepressten Saft zum Mittagessen zu haben. „El almuerzo“, das Mittagessen, war eine Variation aus Getreide, Fleisch und Bohnen.

Zur Schule in Kolumbien habe ich jetzt zwei Sichten, da ich auf einer öffentlichen und einer privaten Schule war. Auf der öffentlichen Schule lernt man sehr langsam, da es anstrengender ist, 30 bis 40 Kinder auf einmal zu unterrichten und die Lehrer dort nicht so qualifiziert sind wie die an den privaten Schulen. Das Verhältnis zu den Lehrern in Kolumbien wird sehr locker gehandhabt. Man duzt die Lehrer, weil sie wie Freunde sind, vor denen man trotzdem Respekt hat. Am Anfang fiel es mir schwer, sie zu duzen, weil es für mich sehr ungewohnt war, doch ich gewöhnte mich daran.

Zum Thema Jugendliche auf der weiterführenden öffentlichen Schule sieht es folgendermaßen aus: Es gibt viele Gruppen, wie die Schlauen, die Eingebildeten, die „Coolen“, die Sportbegeisterten, die Künstler, die Musiker und viele mehr. Was mir gefällt, ist, dass die Schüler sehr früh in Modalitäten eingeteilt werden und so ihre Stärken früh fördern können. Modalitäten wie Kunst, Musik, Mathematik in Kombination mit Physik, Literatur und so weiter. Schulfreunde sind auch wirklich gute Freunde in der Freizeit – nicht so, wie ich es in Deutschland kannte.
In der weiterführenden Privatschule hingegen gibt es Gruppen, die sich seit der Zeit der privaten Grundschule gebildet haben. Auf meiner neuen Schule sind die Grundschule und die weiterführende Schule der Mädchen zusammen. Ich bin das erste Mal mit nur Mädchen auf einer Schule, was ich akzeptieren musste, aber es ist für mich sehr komisch.

 

Gastfreundschaft, Abenteuer und das Leben bei den Tobóns: Tanzen, Feiern und neue Erlebnisse

Eine weitere Gasttante mit der ich mich am besten verstand, nach all dem, was sie für mich getan hat, ist eine ehrenamtliche Helferin von AFS. Sie hat mir ihre Familie vorgestellt und auch den Gastneffen, mit dem ich mich sehr schnell angefreundet habe. Diese Familie hat sich echt angefühlt und nicht gespielt. Und so habe ich mich bei ihnen am wohlsten gefühlt. Außerdem haben sie mich zum Ausgehen, Spazieren, Übernachten und zu Ausflügen eingeladen. Einmal war ich mit ihnen in der Nähe des Rio Claro und bin von einem Felsen in 11 Metern Höhe in den Fluss gesprungen. Das hätte ich mich hier nie getraut, aber in diesem Moment habe ich an mein Motto „No risk, no fun“ gedacht.

Auf Fiestas tanzt man pausenlos, und es ist nicht wichtig, mit wem, da das Tanzen nichts Emotionales bedeutet. Es macht riesigen Spaß, und mittlerweile habe ich schon Merengue, Salsa, Bachata und Ras-Tas-Tas tanzen gelernt. Auf jeder Feier wird ständig getanzt. Für mich persönlich war es neu, dass man an Weihnachten und an Neujahr tanzt. Es waren unfassbar schöne Feste, aber das sind alle Feste, insbesondere der 15. Geburtstag eines Mädchens. Das Geburtstagskind trägt immer ein Ballkleid in Gold mit tausenden Strasssteinen oder anderen Farben – die Hauptsache ist, dass es SEHR AUFFÄLLIG ist.

Medellín: eine moderne Stadt

Ich lebte in der Stadt Medellín, die eine sehr moderne Stadt ist. Frauen setzen sich dort durch und erreichen viel, trotzdem gibt es immer wieder Familien, in denen die Frauen unterdrückt werden. Ehrlich gesagt, hätte ich mir die Stadt nie so modern vorgestellt. Sie ist sehr weit entwickelt im Vergleich zu anderen kolumbianischen Städten. Zum Beispiel hat sie eine Metro und ein bestimmtes sowie kontrolliertes Bus- und Bahnsystem.

Erkenntnisse aus dem Auslandsjahr: Kultur, Selbstfindung und die Bedeutung der Heimat

Ich muss zugeben, dass das ganze Auslandsjahr nicht nur ums Kennenlernen einer Kultur geht, sondern auch um die Erweiterung des Wissens über Deutschland. Erst im Ausland wird einem klar, wie viel einfacher das Leben hier in Deutschland ist. Man bekommt Hilfe, wenn man sie braucht, was für die Kolumbianer unvorstellbar ist. Wenn jemand arbeitslos ist, tut man dort alles, um seine Familie ernähren zu können. Ein weiterer Punkt der Erfahrungen im Auslandsjahr ist, dass man sich selbst im Ausland besser kennenlernt. Man entflieht dem alten Ich, das in Deutschland bekannt war, und findet ein neues Ich im Ausland. Des Weiteren wurde mir im Ausland klar, wie wichtig mir eigentlich meine eigene Familie ist. Trotz der Distanz und der Zeitverschiebung ist sie mir immer zur Hilfe gekommen und hat mich nie allein gelassen.
Nichtsdestotrotz finde ich, dass das deutsche Leben eher meinen Lebensvorstellungen entspricht, da mir meine zukünftige Karriere sehr wichtig ist, bei der ich regelmäßig reisen kann, wie ich möchte. Trotzdem wird mein Zuhause immer Deutschland bleiben.

Empfehlung für zukünftige Austauschjahrteilnehmer*innen: Kolumbien entdecken und den eigenen Weg gehen

Ich würde Kolumbien jedem für das Auslandsjahr empfehlen. Kommt auf jeden Fall vorbei, es ist unglaublich, was und wie viel man in einem Jahr erfahren und lernen kann! Geht nicht immer denselben Weg wie andere, zum Beispiel ein Austauschjahr in den Vereinigten Staaten, Neuseeland oder Australien. Ich bin in Kolumbien und sehr froh, hier zu sein, auch weil ich einiges gesehen habe, das andere nicht gesehen haben.

Cornelius Nohl