Michael in Bolivien

Ein unvergessliches Jahr in Bolivien

Meine ersten Eindrücke von Bolivien waren einfach nur überwältigend. Hier herrscht eine ganze andere Atmosphäre als die, die ich in Deutschland gewohnt bin. In diesem Land sind die Menschen sehr offen und gehen auch gerne auf einen zu. Zu den freundlichen Mitmenschen kommt meine tolle Stadt hinzu, die von Gebirgen umgeben ist und ein sehr angenehmes Klima hat. Es ist nie zu kalt oder zu warm und das das ganze Jahr über. Mir war klar, dass ich mich auf viel Neues einstellen muss: eine neue Schule, eine neue Sprache, anderes Essen, neue Freunde sowie eine andere Familie.

Singende Schüler an der Kunstschule

Das Jahr begann sehr gut, denn meine Gastfamilie hat mich so liebevoll aufgenommen und dieses Verhältnis wurde mit der Zeit besser und besser. Wie lieb und offen die Menschen sind, merkte ich erst so richtig als die Schulzeit für mich begonnen hat. Gleich am ersten Tag hatte ich trotz Sprachbarriere sehr tolle Menschen kennengelernt und mit vielen von denen stehe ich bis heute im Kontakt. Es war sehr interessant zu sehen, wie locker der Unterricht einer Abschlussklasse sein kann. Dadurch, dass ich auf einer Kunstschule war und somit wirklich alle abgesehen von mir mindestens zwei Musikinstrumente, singen, tanzen, malen/zeichnen oder schauspielerisch sehr begabt waren, war der Unterricht immer sehr lustig. Manchmal hörte man aus der hinteren Reihe singende Schüler oder einige die schon mal ihr Instrument einstimmten.

Selbstverständlich hatte ich auch die Chance meinen Mitschülern einige Kartenspiele aus Deutschland beizubringen und andersrum genauso. Neben den ganzen Spielereien gab es natürlich auch etwas strikteren Unterricht in Fächern wie Mathe oder Physik. Von 7:30 Uhr bis 12:30 Uhr gab es Unterricht und danach hatte man den Nachmittag lang noch die Wahl zwischen Musik, Folklore, Theater und Tanzen.

Natürlich war es nicht immer so locker, denn uns war bewusst, was uns im nächsten Schuljahr erwartet, und zwar die Universität. In der Uni herrschte natürlich ein anderer Ton, es war alles etwas ernster und in bestimmten Fächern hat das reine auswendig lernen nicht so viel gebracht, wie mancher vielleicht dachte. Ich hatte das Glück eine private Universität zu besuchen und somit waren die Hörsäle auch nicht so voll wie auf einer staatlichen Universität. Fast ein halbes Semester habe ich mich im Bereich des Marketings und Management schlau gemacht. Es war sehr schön dort auch nochmal ältere Mitschüler kennenzulernen, auch wenn ich meine alten Klassenkameraden sehr vermisst habe.

Große Unterschiede

Ich denke, dass ich mich nicht so sehr umstellen musste, da ich einiges auch aus meinem Geburtsort Ghana kenne. Mit der Zeit gewöhnt man sich an alles, es ist zu Beginn nur ungewohnt, aber dafür sehr interessant zu sehen, wie es in den anderen Ländern so läuft.

Ich hatte vor der Abreise keine Erwartungen an Bolivien, so konnte ich alles auf mich zukommen lassen und ich bin sehr froh, dass ich diese Haltung hatte. Denn vom Schulsystem bis zu den öffentlichen Verkehrsmitteln merkt man schon große Unterschiede. Ein Beispiel: In Deutschland halten die Busse an bestimmten Haltestellen, so etwas gibt es in Bolivien nicht. Man hebt die Hand und ruft somit den Bus und wenn man aussteigen möchte, sagt man Sachen wie „An der Ecke“ oder „vor der Ampel“. Es kann auch vorkommen, dass der Bus mitten auf der Straße hält. Grundsätzlich würde ich die Menschen in Bolivien nicht nur als sehr liebevoll und offen beschreiben, sondern auch sehr locker. Dazu kommt, dass Pünktlichkeit leider nicht immer so ernst genommen wird und so werden aus 5-10 Minuten warten gleich mal 30-40 Minuten. Doch wenn man sich etwas drauf einlässt, ist es am Ende des Tages nicht so schlimm. Man stresst sich nicht so sehr und das ist manchmal auch sehr gut.

Der Wert von Freundschaft

In Bolivien wird Freundschaft ganz großgeschrieben: zum Beispiel macht man sich gegenseitig kleine Geschenke oder man isst bei der anderen Familie zum Mittag mit - und das alles ohne Erwartung etwas zurückzukriegen. Man macht dies einfach, weil man sehr froh ist, die andere Person bei sich zu haben. Dennoch werden Konflikte, nicht nur in Bolivien sondern in ganz Südamerika, selten direkt angesprochen, was oftmals zu vielen Missverständnissen führt. In der Regel sagt man nicht genau was einen stört, sondern deutet nur daraufhin und das kann so einiges erschweren, gerade wenn man aus Deutschland kommt, wo so gut wie alles offen und ehrlich besprochen wird.

Dafür bin ich aber sehr froh sagen zu können, dass ich viele Leute und zudem auch viele neue Freunde dazu gewonnen habe. Sehr toll war es natürlich wenn man gemeinsam gereist ist oder einfach nur die Stadt erkundigt hat. Bolivien hat gerade im Punkt Landschaften eine Menge zu bieten. Und somit war jede Reise atemberaubender als die letzte.

Ich war sehr gerne in der Schule, treffe mich gerne mit Freunden zum Café trinken oder um in eine Bar zu gehen, ich gehe gerne zum Sport und was mir am liebsten hier ist, ist das Essen. Ich habe Glück in „der Stadt des Essens“ zu leben. Und das bestätigt sich jedes Mal, wenn ich einen Cochabambino (Menschen die in Cochabamba leben) frage, was denn das Besonderste an der Stadt ist.

Die Familie hat den höchsten Stellenwert

Ein Thema das in Bolivien noch größer als Freundschaft geschrieben wird, ist die Familie.      Die Familie hat den höchsten Stellenwert. Meine Gastfamilie bestand aus einem Vater, einer Mutter, einen älteren Bruder und meiner jüngeren Schwester, die aber nach einigen Wochen nach Italien flog, um ihr eigenes Auslandsjahr zu haben. Dadurch, dass nichts über der Familie steht, gibt es auch einen Tag, an dem man was mit der Familie unternimmt. Jeden Sonntag sind wir gemeinsam außerhalb vom Haus Mittagessen gegangen und haben danach noch zusammen gespielt oder Filme geschaut. Zudem war der Sonntag aber auch der Ruhe-Tag. Diesen Tag haben viele zum Schlafen oder Serien schauen genutzt, man hat sich wirklich ausgeruht. Mein Gastbruder war so lieb und brachte mir sonntags immer etwas Spanisch bei. Ich bin sehr froh über meine jetzigen Spanischkenntnisse, die sich ohne meine Gastmutter sicherlich nicht so schnell und gut entwickelt hätten.

Eine unvergessliche Reise

Eine Sache, die ich mit Sicherheit niemals vergessen werde, ist die Reise mit meiner Gastfamilie und deren Freunden nach Peru. Die Reise war sehr unterhaltsam und es war sehr toll einige Nächte in einen 5 Sterne Hotel zu verbringen. Lima ist eine wunderschöne Stadt, die mir wirklich sehr gefallen hat, und die ganze Fahrt über herrschte eine sehr gute und lustige Atmosphäre in der Gruppe. Dazu kommt, dass ich in so einer kurzen Zeit noch nie so viel und leckeren Fisch gegessen habe - das macht die Fahrt auf jeden Fall unvergesslich.

Cornelius Nohl