Dominique in Brasilien

Eine lebensverändernde Erfahrung

Bevor ich nun zu meinen (einzelnen) positiven und schlechten Erfahrungen komme, möchte ich sagen, dass ich diese Erfahrung so immer wieder machen wollen würde und meine Entscheidung damals ins Ausland zu gehen, so immer wieder treffen würde. Vielen lieben Dank CHILDREN, dass ihr mir diese Erfahrung erst ermöglicht habt.

Ein Überblick

Als ich damals mit 16 in meine Gastfamilie kam, erwarteten mich drei Gastbrüder (David 16, Denner, 22, und Dereck, 24), sowie eine Gastmutter und Gastvater. Ich lebte mit ihnen (außer Dereck) in einer 3-Zimmer großen Wohnung in der Küstenstadt Natal, welche ebenfalls die Hauptstadt des Staates (Bundesland) war. Dereck war bereits ausgezogen und wohnte mit seiner Freundin zusammen ca. 2/3 Stunden entfernt. Natal ist eine relativ große Stadt mit ca. 1 Millionen Einwohnern. Die Wohnung selbst war modern und ich teilte mir ein kleines Zimmer mit meinem jüngsten Gastbruder David. Die Wohnung befand sich in einem Hochhaus, welches sich wiederum in einer Wohngemeinschaft befand. In Brasilien ist es ziemlich gängig, dass mehrere Häuserblocks oder Einfamilienhäuser sich in einem sogenannten „Condominio“ befinden. Ein „Condominio“ ist dabei eine Wohnanlage, welche mit einer Mauer, Stacheldraht, Kameras, sowie Sicherheitspersonal von der Umgebung „abgesichert“ ist und somit den Bewohnern (absolute) Sicherheit bieten soll. Dies wirkt auf deutsche Ohren erstmals sehr befremdlich und erinnert eher an Hotels, ist jedoch auf Grund der Sicherheitslage in Brasilien verständlich. Mir selbst ist in Brasilien nie etwas passiert, auch bin ich nie in eine gefährliche Situation geraten. Jedoch sollte man sich bewusst sein, dass das Zusammenleben in Südamerika nicht dem aus Europa entspricht.

 

Das Zusammenleben mit meiner Gastfamilie – zwischen Frust und Liebe

Insgesamt kam ich mit meiner Gastfamilie gut zurecht und ich habe mich als Teil ihrer Familie gefühlt. Auch jetzt, 10 Jahre später, nennen sie mich noch „Sohn“ oder „Bruder“.

Mein Gastvater: Mit meinem Gastvater habe ich mich besonders gut verstanden. Er zeigte von Anfang an besonderes Interesse an mir als Person und meinem Herkunftsland Deutschland. Er lernte sogar das ein oder andere deutsche Wort, was zu sehr lustigen Situationen führte, wenn er irgendwelchen Brasilianern ein deutsches Wort an den Kopf warf. Er war General des Militärs, kannte die Stadt und seine Einwohner gefühlt wie seine eigene Hosentasche und wollte mich an dieser teilhaben lassen. Er fuhr mit mir teils stundenlang durch die Stadt, zeigte mir jede interessante Ecke und stellte mich x-beliebig vielen Menschen vor. Mit ihm Zeit zu verbringen war sehr unterhaltsam und er brachte mir sehr viel bei. Eine „typisch brasilianische Eigenschaft“ störte mich jedoch sehr, wobei ich diese das erste Mal an meinem ersten Schultag erlebte. Er kam immer extrem zu spät. An meinem ersten Schultag kam ich aufgrund dessen ca. 90 min zu spät, was für interessante Gesichter bei den anderen Austauschülern auf meiner Schule sorgte.

Meine Gastmutter: Mit meiner Gastmutter habe ich mich leider nicht so gut verstanden. Dies lag wahrscheinlich daran, dass sie andere Erwartungen an meinen Aufenthalt hatte. Sie stellte sich das eher wie ein Au-Pair vor, bei welchem ich meinem jüngsten Gastbruder David Englisch beibringen werde und die Familie unterstütze. Das ich selbst viel zu lernen hatte, konnte sie nicht ganz nachvollziehen. Auch fühlte ich mich meist leider nicht auf selber Augenhöhe behandelt wie David. So wurde ich beispielsweise mehrfach ermahnt, dass das Zimmer nicht aufgeräumt sei, wobei David und ich uns dieses teilten und er nicht ermahnt wurde. Sie behandelte mich nie schlecht, jedoch unternahm ich mehr mit den anderen Familienmitgliedern, da ich mich einfach besser mit denen verstand.

Ältester Gastbruder Dereck: Ihn sah ich leider nicht sehr häufig, da er 2/3 Stunden entfernt wohnte. Ich mochte ihn auf Grund seiner humorvollen und offenen Art sehr und freute mich, wenn ich ihn dann mal sah.

Denner: Er war der Grund, warum sie als Familie überhaupt einen Gastschüler aufnehmen wollten. Er selbst war die Jahre vor meinen Austausch auch selbst im Ausland und wollte diese Erfahrung teilen. Er wollte, dass jemand die Chance erhält Brasilien kennenzulernen, sowie das seine Familie eine andere Kultur in den eigenen vier Wänden kennenlernen kann. Er sprach als Einziger aus der Familie Englisch. Dies wirkt zu Beginn wie ein Nachteil, stellte sich jedoch auf lange Sicht als Vorteil heraus. Ich lernte somit deutlich schneller Portugiesisch zu sprechen, da ich „gezwungen“ war zu reden. Ein paar andere Austauschschüler sprachen mit ihren Gastfamilien Englisch. Dies war zwar zu Beginn bequem, jedoch fiel es ihnen dann schwer in die Portugiesische Sprache zu finden. Denner war von Anfang an und auch im späteren Verlauf mein Ansprechpartner. Mit ihm konnte ich (falls nötig) Sachen detailliert auf Englisch besprechen, wenn es mir auf Portugiesisch nicht möglich war. Auch konnte er sich als einziger wirklich in meine Lage versetzen, da er selbst auch mal Austauschschüler war. Denner hatte viel mit mir geplant, konnte leider auf Grund seiner Arbeit jedoch nicht so viel davon umsetzen. Trotzdem haben wir das ein oder andere schöne Erlebnis zusammen erlebt, z.B. sind wir mal für mehrere Tage mit Freunden von ihm an den Strand gefahren.

Jüngster Bruder David: Mit ihm habe ich aus der Familie am meisten unternommen. Uns trennte nur ein Jahr, somit hatten wir ähnlich Interessen. Im Condominio haben wir viel Fußball gespielt, sind im Pool schwimmen gegangen oder haben einfach etwas mit seinen Freunden unternommen.

Das schwierige Thema Essen: Wie oben beschrieben, kam ich mit meiner Gastfamilie an sich gut zurecht, jedoch gab es ein Problem. Meine Gastfamilie hat quasi nur außerhalb gegessen. Somit war der Kühlschrank meist ziemlich leer. Ich musste mich somit Mittags selbst versorgen und das leider auf eigene Kosten, da sie mir dafür kein Geld gaben. Das war tatsächlich sehr frustrierend, da sich meine Gastfamilie für diesen Part der Grundversorgung irgendwie nicht zuständig fühlte. Ich bekam den Eindruck, dass ich mir das als Europäer ja wohl leisten können sollte und sie für diese Kosten nicht aufkommen müssten. Dafür konnte jedoch dank CHILDREN eine Lösung gefunden werden.

Meine neue Familie: In Deutschland lebte ich nur mit meiner alleinerziehenden Mutter. Sie war für mich meine einzige Familie, denn meinen Vater kannte ich nicht und meine Großeltern sind ziemlich früh gestorben. Ich teilte mit ihr eine 3-Zimmer Wohnung und hatte somit mein eigenes Zimmer. Nun hatte ich eine neue ergänzende Familie gewonnen. Ich, als Einzelkind, konnte erfahren, wie es mit Geschwistern ist. Ich, als Kind einer alleinerziehenden Mutter, konnte erleben, wie es ist mit einem Vater zu leben, welcher für die Familie da ist. Natürlich war es eine Umstellung sich ein Zimmer zu teilen und so viele Leute um sich herum zu haben, aber ich habe eine zweite Familie dazu gewonnen, welche ich nicht mehr missen möchte.

Unterschiedliche Kulturen:

Die Deutschen werden häufig stereotypisch als „kalt“ und „distanziert“ beschrieben. In Brasilien durfte ich erfahren, was dann wohl das Gegenteil muss, „warmherzig“ und „offen“.

Offenheit und Körperkontakt: Statt sich zur Begrüßung förmlich die Hand zu reichen, oder sich ggf. zu umarmen, wird man in Brasilien mit einem Küsschen auf die Wange begrüßt und lange gedrückt. Sie neigen zu mehr Körperkontakt, liegen sich in den Armen und geben sich gegenseitig Küsschen. Die persönliche Zone, wie nah Menschen sich kommen ist deutlich kleiner als in Deutschland und wirkte auf mich zu Beginn nicht existent.

Für mich war das zu Beginn eine Umstellung und teils ein bisschen viel, gewöhnte mich aber mit der Zeit dran und genoss es. Als ich nach Deutschland zurückkam, musste ich mich auch erst wieder an die deutschen Gepflogenheiten gewöhnen, was zu einigen „peinlichen“ Momenten führte. Ich war es in Brasilien so doll gewohnt, mir noch fremde Personen zur Begrüßung zu umarmen, dass ich auch in Deutschland zu Beginn zur Umarmung ausholte, wobei mir mit verwirrten Blick die Hand entgegengestreckt wurde (unangenehm).

Offenheit und Teilen:

In Deutschland leben wir in einem Land, in welchem es uns eigentlich an nichts mangelt. Uns geht es gut. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in welcher jeder Einzelne tendenziell zu viele materielle Sachen besitzt, wir aber trotzdem dazu neigen mehr zu kaufen und das Teilen in den Hintergrund gelangt. Neuen Menschen begegnen wir mit einer gewissen Distanz, um eine gewisse Sicherheit zu bewahren.

In Brasilien durfte ich teils das Gegenteil kennenlernen. Menschen, welche nicht viel besitzen und in ärmlichen Verhältnissen leben. Doch besonders diese Menschen waren extrem herzlich und wollten das wenige teilen, was sie besaßen. Sie luden mich zu ihnen nach Hause und zum Essen ein.

Es ist mehr als einmal vorgekommen, dass ich eine Person z.B. an der Bushaltestelle kennenlernte und diese mich nach 10 min auf einen Kaffee bei sich zuhause einladen wollte (habe dies auch Sicherheitsgründen natürlich nicht angenommen). Dies ist mir so noch nie in Deutschland passiert. Ein anderes gutes Beispiel: Während meiner letzten Tage in Brasilien, sprach ich viel mit den Leuten in meiner Schule und wir verabschiedeten uns langsam voneinander. Eine Person merkte im Gespräch, dass sie mich an dem diesem Tag das letzte mal sehen wird, wollte mir aber unbedingt etwas schenken bzw, mitgeben. Daraufhin gab er mir sein Brasilien T-Shirt, welches er an diesem Tag mit sich trug.

 

Selbstständigkeit und neue Perspektiven: Wie mein Auslandsjahr mich verändert hat

Das Auslandsjahr war ein „Boost“ in meiner Entwicklung und hat den weiteren Verlauf maßgeblich geprägt. Ich kam das erste Mal in meinem Leben aus meinen Plattenbau und konnte über meinen Tellerrand schauen.

In der Schule konnte ich mit Fremdsprachen nichts anfangen. Französisch wählte ich nach einem Jahr ab und beendete es mit einer 5. Englisch macht mir in der Schule einfach keinen Spaß. Ich gab mir nur für die Abschlussprüfung Mühe, damit ich auf dem Zeugnis wenigstens eine 3 stehe habe. In Brasilien lernte ich, dass Sprache mehr sind als nur ein Fach in der Schule und das sich das Lernen nicht nur für die Note auszahlt. Ich gab mir in Brasilien sehr viel Mühe und lernte die Basics schnell. Ich verstand, dass die Sprache der „Schlüssel“ ist um die „Türe“ zu den Menschen und der dahinter stehenden Kultur zu öffnen. Englisch zu nutzen machte mir auf einmal Spaß und Portugiesisch öffnete mir unbekannte Möglichkeiten. Mein Abi nach meinem Auslandsjahr beendete ich in Französisch mit einer 1 und nahm Englisch als mündliches Fach. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass das Auslandsjahr mit positiv dafür verantwortlich ist, dass ich heute Lehramt studiere.

Das Auslandsjahr hat mich reifen und wachsen lassen. Ich merkte, dass ich Situationen nun aus mehr als einer Perspektive betrachten konnte. Ich lernte es zu schätzen, wie gut es mir hier in Deutschland geht, obwohl ich aus ärmlichen Verhältnissen kam und in einem sozialen Brennpunkt wohnte. Ich lernte insgesamt dankbarer, offener und toleranter zu sein.

Ich bin unendlich dankbar, dass meine Mutter mir damals erlaubte dieses Auslandsjahr zu machen. Meine alleinerziehende Mutter, schickte mich zwar ein Jahr „alleine“ weg, war jedoch selbst ein Jahr alleine zuhause. Sie weinte zwar beim Abschied, ihre Freudentränen bei Wiedersehen waren jedoch voller Freude und Stolz. Die Beziehung zu meiner Mutter hatte sich noch einmal vertieft und verstärkt.

Meine Mutter und ich sind unendlich dankbar, dass CHILDREN mir diese Chance ermöglicht hat. Ohne CHILDREN wäre mir, ein Junge aus einfachen Verhältnissen, solch eine Erfahrung wahrscheinlich für immer verwehrt geblieben. Vielen Dank ❤️

Cornelius Nohl